Augsburger Allgemeine
Barbara Szymanski

Konzert mit Zwischentönen

Van Veen gibt sich sanft und nachdenklich

Stürmischer Applaus für den vielseitigen Holländer

15 jan 1982

Der Applaus gilt dem Falschen. Der dort das Mikrofon in die Halterung steckt, ist "nur" der Kollege Erik van der Wurff, der nachher so brillant und überaus einfallsreich den Flügel und die Keyboards bis zur letzten Taste in allen Schattierungen auszunutzen weiß. Der "Star" kommt durch die Publikumsreihen gelaufen Ganz in Weiß, mit Händen voller Reis, den er freigiebig um sich schmeißt. "Hopp", rauf auf die Bühne und dann geht es los. Herman van Veen steht nicht als Musenpriester auf dem Bühnenaltar, sondern ist in jeder Sekunde darum bemüht, mit jedem im Saal Kontakt herzustellen; über sein Publikum in der Kongreßhalle zu lachen, es zu benutzen, aber nicht auszulachen und auszunutzen.


.Die Bühne ist in dezentes Licht getaucht. Versteckt angebrachte Scheinwerfer beleuchten jeweils das szenisch Wichtige. Kalt hängt ein Vollmond links oben. Hinter dem Künstler und seiner feinfühligen Crew (Henk Zomer, Cees von der Laarse) ist ein hohes Maschendrahtgitter angebracht.
Dieses wird später noch wichtig werden. Dann Rätsel über Rätsel. Auf die Reisstreuung folgt kein Fruchtbarkeitslied. Eine Handtasche wird einer Besucherin entrissen und zurückgebracht: "Oh, ihr Mädchen, dort ist der rote Notausgang!" Ein Liebeslied folgt, van Veen wiegt dabei eine Uniform. Eine blonde Frau muß ihr schönes Haar leihen, um Herman van Veens - Verzeihung - Glatze zu verdekken!

Gags, Clownerien, Sketche, Lieder, Gedichte, Pantomime, Tanz. Der 36jährige Holländer beherrscht die Klaviatur des Alleinunterhalters wie kaum ein anderer seines Genres. Und doch gibt es viele Zwischentöne; oft spricht sogar Poesie und Lyrik aus Liedern und Balladen. Er scheut sich aber auch nicht, ins Schwarze zu treffen: "Mutter in ihrer Todesangst steht vor der Anrichte und versucht sich da, im Abwasch zu ersäufen", klagt ein Vers in einem Song über ein Kind, das von zu Hause weggelaufen ist.

Und noch lange ist van Veen nicht am Ende seiner Kunst. Die sanfte, einschmeichelnde Stimme, die die Vorträge trotz ausgeprägtem holländischem Slang zu einem Genuß machen, ist noch lange nicht sein einziges Instrument. Er beherrscht auch die Viola virtuos, schlägt Bongos und holt selbst mit bloßen Händen aus einem Baß wiegenden Blues-Rhythmus heraus.

Das Publikum, darunter sehr viele junge Leute und auch mancher Ältere, ist an diesem Abend in Bann geschlagen, läßt sich völlig fesseln. Nach der beklemmenden Gefangenenszene, wozu van Veen das Maschengitter benutzt, wagt sich keiner in die Pause. Der Applaus bleibt aus. Die Betroffenheit scheint zu groß. Er schafft es einfach, den Finger auf Wunden zu legen und Mißstände zwischen den Menschen aufzuzeigen, aber nicht mit erhobenem, sondern mit gebogenem Zeigefinger.

Natürlich darf auch von Herzen gelacht werden. Eins tüchtig auf den Deckel bekommen die Fuzzis von der Schlagerfront, er scherzt über die Rocker und Blueser. Zugaben kommen freiwillig, es scheint so, daß er noch lange nicht alles gebracht und aus sich herausgeholt hat.

"Hoffentlich kommst du bald wieder . . .", bittet eine junge Dame. "Ja sicher. . .", lacht van Veen verschmitzt und zwinkert mit den blauen Augen ...



Barbara Szymanski